Methoden ergonomischer Untersuchungen


Methoden der Inspektion wie Walkthrough und Peer Review sind aus dem Software Engineering bekannt und können für die Belange der Software-Ergonomie ebenso zu einem frühen Zeitpunkt eingesetzt werden, wenn die Teilnehmer gute Kenntnisse von den Benutzern haben oder selbst Benutzer sind.

Besondere Bedeutung haben aus ergonomischer Sicht Feldbeobachtungen und Benutzerbefragungen, weil sie sich direkt mit der Situation des Anwenders in seiner Arbeitsumgebung und seiner spezifischen Erfahrung befassen. Sie erlauben, Informationen zu gewinnen, die aus dem Stand der Technik oder der Entwicklungserfahrung alleine nicht zu erhalten sind.

Häufig gibt es Designalternativen zwischen denen ohne Beteiligung der Benutzer nicht zu entscheiden ist. Versuche mit Benutzern gestatten dann zu klären, welche der Möglichkeiten den Anforderungen der Benutzer am besten entsprechen. Auf diese Weise sind von der wissenschaftlichen Ergonomie viel Detailfragen untersucht worden, z.B. über Größe und Anordnung von Bildsymbolen und ihre Erkennbarkeit. In einem anderen Beispiel dienten ergonomische Untersuchungen mit Benutzerversuchen dazu, die Frage zu entscheiden, ob Hilfesysteme den Benutzer beobachten dürften, um sich gegebenenfalls aktiv mit Vorschlägen an den Benutzer in den Arbeitsablauf einzuschalten. Die Ergebnisse solcher Untersuchungen sind eingeflossen in die Gestaltung der Richtlinien und Styleguides.

Während der Produktentwicklung dienen solche Versuche besonders als Test, bei denen überprüft wird, ob das Produkt oder Teile davon schon den Spezifikationen und den Benutzererwartungen gerecht wird. Je weiter fortgeschritten die Entwicklung ist, um so mehr Teile des Produkts stehen für derartige Tests zur Verfügung. Es kommt sehr darauf an, zum frühest möglichen Zeitpunkt Testergebnisse zu erreichen, damit auf Hinweise zur Verbesserung des Produkts noch reagiert werden kann.

Die hier gemeinten Versuche und Tests beinhalten immer die Teilnahme und Beobachtung von Benutzern, also von Menschen. Sie erfordern deshalb die sehr wohlüberlegte Methodik psychologischer Experimente, um unverfälschte Ergebnisse zu erlangen. So sind z.B. Beobachtende und Beobachtete möglichst zu trennen, um zu vermeiden, daß die Erwartungen der Beobachter das Verhalten der Versuchspersonen beeinflußt Deshalb befinden sich häufig Beobachter und Versuchspersonen in getrennten Räumen, und die Beobachtung erfolgt durch Videokameras. Ergonomische Laboratorien haben entsprechende Einrichtungen. Ihr Bau und ihre Ausrüstung erfordert einen recht hohen Aufwand. Da auch eine nicht geringe Anzahl von Menschen als Versuchspersonen und als Beobachter und Versuchsleiter an solchen Versuchen und Tests beteiligt sind, sind sie unter Umständen sehr kostspielig.

Die hohen Kosten ergonomischer Versuche verbieten es in der Regel, mit sehr vielen Versuchspersonen zu arbeiten. In den Begriffen der Statistik heißt das, daß die Stichprobe aus der Population, die einmal mit dem Produkt arbeiten soll, sehr klein ist. Stellen sich jetzt Unterschiede zwischen zwei Programmversionen heraus, so ist die entscheidende Frage bei der Interpretation dieses Ergebnisses, ob es nicht auch rein zufällig zustande gekommen sein könnte. Sie ist nur bei einer gründlichen Versuchsplanung und fachgerechter statistischer Auswertung zu beantworten, die die Beherrschung moderner statistischer Methoden voraussetzt.

Ergonomische Versuche und Tests sind also recht aufwendig. Trotzdem lohnen sie sich in den meisten Fällen, wenn sie sorgfältig geplant sind, weil dadurch Fehler in der Benutzbarkeit des Produkts frühzeitig behoben werden können und so nicht zur Ursache von sehr kostspieligen Terminverschiebungen der Markteinführung oder von Fehlerkorrekturen nach der Produktauslieferung werden können.

Es besteht aber sichtlich ein dringendes Bedürfnis nach einer einfacheren Weise, die ergonomischen Eigenschaften eines Softwareprodukts frühzeitig zu bestimmen. Dafür sind verschiedene analytische Methoden erdacht worden. In einer Gruppe von Verfahren werden die Handlungen der Benutzer nachgebildet und bewertet. Beim Keystroke Level Model werden vor allem die Tastenanschläge des Benutzers für eine bestimmte Aktion aufgeschrieben und bewertet. Daraus läßt sich für nicht zu umfangreiche Handlungen die Zeit für ihre Durchführung abschätzen. Bei GOMS (Goals - Operations - Methods - Selection Rules) und seinen Abkömmlingen werden die Handlungen in Form von programmähnlichen Regeln aufgeschrieben, so daß die Zahl der benötigten Regeln ein Maß für den vom Benutzer zu erbringenden Aufwand ergibt. Eine andere Gruppe von Methoden dient der Erfassung und Bewertung von ergonomischen Eigenschaften von Softwaresystemen im Zusammenhang mit den arbeitsorganisatorischen Gegebenheiten, wozu Keystroke Level Model oder GOMS nicht in der Lage sind. Ein Beispiel eines solchen Evaluationsleitfadens ist EVADIS. Durch Benutzerbefragung, Arbeitsanalyse und die Anwendung eines Leitfadens sollen sowohl die ergonomische, ganzheitliche Qualität der Arbeitsaufgaben wie auch die ergonomische Qualität und Funktionalität der Software beurteilt werden.

Leider sind die analytischen Methoden trotz der Entwicklung unterstützender Programme nicht besonders einfach zu handhaben. Wegen dieses Aufwands an Expertise, Zeit und Geld scheinen sie bisher nicht die wünschenswerte weite Anwendung gefunden zu haben.