Organisationsergonomie


Erst das soziale Umfeld, die betriebliche Organisation, die informelle Organisation der persönlichen Zusammenarbeit ordnen der individuellen Äußerung wie der Tätigkeit des Einzelnen ihre Bedeutung im Rahmen der Arbeitstätigkeit zu. Dabei werden Konventionen wirksam, die in Form von Organisationsstrukturen, Normen, Betriebsordnungen, Firmenstandards, Unternehmenskultur und etablierten Bräuchen, kurz allen möglichen formellen und informellen Übereinkünften, die Arbeit regeln.

Die Anpassung der Benutzungsschnittstelle an die Bedürfnisse des Benutzers hat seit den siebziger Jahren große Fortschritte gemacht und einen hohen Stand erreicht. Um so mehr wird aber deutlich und von erfahrenen Anwendern immer wieder betont, daß der Benutzer zu wenig darauf vorbereitet und darin unterstützt wird, seine eigene Organisation in Bezug auf die neue Technik zu verändern. Im Bereich der Programmierung kennen wir die daraus resultierenden Fehlschläge bei der Einführung formaler Methoden für die Spezifikation und Entwicklung von Software. Weil man bei der Vermittlung fachlicher Kompetenz stehen blieb und die Umgestaltung der Organisation und der Kommunikationsprozesse in ihr nicht diskutierte sondern sich selbst überließ, wurden die vielversprechenden Methoden praktisch nicht angewandt, die hohen Schulungskosten waren umsonst ausgegeben worden. Wir wissen, welche Schwierigkeiten die Einführung von CIM erlebt, weil die Betriebe dafür eigentlich völlig umorganisiert werden müßten. Welches Schicksal werden CASE (Computer assisted software engineering) oder CSCW (Computer supported cooperative work) haben, die völlig neue Formen der Zusammenarbeit in Gruppen erfordern, wenn sie erfolgreich sein sollen? Noch ein anderes Beispiel bieten die bisher eingesetzten Bürosysteme. Sie werden oft nur oberflächlich erlernt und dementsprechend genutzt: als Schreibmaschine, als Rohrpost und eventuell als Ablagesystem, obwohl die traditionelle Ablage häufig vom Benutzer bevorzugt wird. Der elektronische Kalender wird kaum benutzt (oder nur unter Zwang), weil sein Sinn nicht bloß im Ersatz des Taschenkalenders besteht, sondern im Terminabgleich mit anderen Teilnehmern im Netz, was nur bei entsprechender sozialer Kompetenz und "offenen" Organisationsstrukturen erfolgen kann und akzeptabel ist, Voraussetzungen, die nicht entwickelt werden. Vertrauen, Verständnis und Einverständnis mit den Arbeitsvorgängen ergeben sich nicht von allein mit der eingesetzten Technik, sondern erfordern die Entwicklung einer geeigneten Organisationsform unter Beteiligung der betroffenen Mitarbeiter.

Die organisatorische Einbettung des Produkts in das Arbeitssystem ist eine Entwicklungsarbeit an der konkreten Arbeitsorganisation des Benutzers unter Wechselwirkung mit dem Produkt. Benutzeranforderungen, die zur Zeit der Produktspezifikation festgehalten werden und für die Entwicklung der Benutzungsschnittstelle unerläßlich sind, können allenfalls in sehr begrenztem Maße organisatorische Vorgaben enthalten. Software-Ergonomie muß hier also sehr bewußt auf Offenheit, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit im Hinblick auf die beim Benutzer später einsetzende Organisationsentwicklung hinwirken.

Software-Ergonomie greift zu kurz, wenn sie ihre Aufgabe nur in der Anpassung des Systems an die Fertigkeiten und Fähigkeiten des Individuums versteht. Ohne eine ganzheitliche Zielsetzung, die die Organisation des Anwenders mit umfaßt, wird sie sich den gleichen Vorwurf wie die Industriedesigner einhandeln, durch Verschönerung der Oberfläche Scheinbedürfnisse und Kaufanreize zu generieren und reine Akzeptanzförderung zu betreiben. Dies um so mehr bei dem anhaltenden Trend, Standardprodukte zu schaffen, deren Arbeitszweck nur auf einem sehr allgemeinen Niveau festgelegt ist und daher keinen Bezug zur konkreten Arbeitssituation des Benutzers haben kann. Die Botschaft der Software-Ergonomie muß also erweitert und auch an die Anwendungsentwickler in den Fachabteilungen, die Systemintegratoren und an die Organisationsabteilungen in den anwendenden Firmen gerichtet werden.