Lernen


Lernen bedarf eines Antriebs, der um so wirkungsvoller ist, je mehr er von dem Lernenden selbst kommt. Arbeitssysteme sollten das Lernen ermutigen, indem sie z.B. zum Erkunden seiner Fähigkeiten einladen, das Zutrauen vermitteln, nicht zerstört werden zu können, durch klare Hinweise und gute Hilfestellung die Orientierung im noch unbekannten Gelände erleichtern. Sinnvolle Arbeitssysteme erweitern die Möglichkeiten des Benutzers, indem sie ihm neue Lösungswege für alte Arbeitsaufgaben und die Erschließung neuer Arbeitsaufgaben ermöglichen. Der Lernaufwand zur Beherrschung eines neuen Systems kann daher nicht unter allen Umständen verschwindend gering sein. Er sollte aber den sich ergebenden neuen Möglichkeiten gegenüber angemessen sein und nicht durch Unklarheiten, Unvollständigkeiten und Umständlichkeiten des Systems unnötig vergrößert werden.

Beim Erlernen und Einüben wird eine routinierte Handhabung des Systems angestrebt. Die Routine soll die Arbeitshandlung bei wiederkehrenden Handlungsabschnitten von gedanklicher Arbeit entlasten. Sie ermöglicht sicheres, wirkungsvolles und leichtes Arbeiten. Daher besteht ein hohes Interesse beim Lernenden daran, daß verschiedene Systeme wenigstens in den Grundfunktionen so gleichartig, konsistent, sind, daß möglichst viele Routinen übernommen werden können (Transfer) und nicht neu erlernt werden müssen. Während der Benutzer den Umgang mit einem für ihn neuen System erlernt, formt sich bei ihm ein Bild vom Aufbau des Systems, dem Zusammenwirken seiner Teile und den verfügbaren Funktionen. Dieses mentale Modell leitet ihn bei seinem Umgang mit dem System wie ein Stadtplan den Besucher einer Stadt. Je detaillierter es wird, um so besser kann er dessen Funktionen den Zwecken seiner Arbeit entsprechend kombinieren und einsetzen. Das mentale Modell des Benutzers muß nicht mit dem Modell übereinstimmen, das den Entwickler beim Entwurf des Systems geleitet hat. Im Gegenteil, viele technische Einzelheiten des Systems sollten dem Benutzer verborgen bleiben, da sie für ihn unwichtig sind. Es ist aber eine wichtige Entwicklungsaufgabe, dem Benutzer das System so zu präsentieren, daß er sich leicht ein richtiges, d.h. zweckentsprechendes Modell aufbauen kann. Oft kann man beobachten, daß Benutzer falsche Vorstellungen von ihrem System haben und es daher umständlich oder unvollständig ausnutzen.

Eine gute Hilfe für den Benutzer ist, wenn ihm das mapping ("Abbildung") ermöglicht wird, d.h. er kann die auf dem Bildschirm angebotene Handlung in Analogie setzen zu einer Handlung, die er aus seiner Erfahrung kennt. Die augenfälligste Anwendung dieses Prinzips ist wahrscheinlich die Maus, bei der die Bewegung der Hand auf die Bewegung des Positionszeigers übertragen ("abgebildet") wird. Ein horizontal angeordneter Kippschalter suggeriert z. B. die Richtungsänderung rechts-links.

Lernvorgänge enden nicht mit der ersten Einarbeitung in ein neues System. Aus dem naiven Benutzer wird mit der Zeit der Anfänger, der Fortgeschrittene und schließlich der Experte. Sie haben sehr unterschiedliche Mentale Modelle und Routinen und sie befriedigen mit dem gleichen System sehr unterschiedliche Ansprüche. Ein Systementwurf darf sich also nicht damit zufrieden geben, dem Anfänger leichte Einarbeit zu ermöglichen, sondern er muß auch dem Experten genügen und dem Anfänger erlauben, zum Experten zu werden. Lernen sollte immer zum Ziel haben, die Kompetenz des Arbeitenden zur Erledigung der Arbeitsaufgabe und zur Eigenkontrolle seiner Arbeit zu erhöhen. Dann ermöglicht der Lernprozeß dem Menschen, seine Arbeit aus eigener Initiative heraus ganzheitlicher zu gestalten und mehr Verantwortung zu übernehmen. Er wird selbständiger und zufriedener. Das Lernen auf triviale Fertigkeiten zu beschränken, kann nur bedeuten, ihn auf einfachste Tätigkeiten einzuschränken, wie sie sich bei fortlaufender Arbeitsteilung nach den Vorstellungen von Taylor ergeben, mit dem Endziel, den Menschen ganz durch Automaten zu ersetzen. Minimales Lernen kann daher nicht Ziel der Software-Ergonomie sein.