Gestaltwahrnehmung

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Unsere Sinnesorgane und unser Zentralnervensystem sind als Ergebnis einer stammesgeschichtlichen Entwicklung genetisch so programmiert, daß sie in der Lage sind, Regelmäßigkeiten und damit Ordnung zu erkennen. Für einen Organismus muß die Welt voraussagbar sein, sonst kann er in ihr nicht leben. In der Umwelt, in der wir leben, gibt es wiederkehrende und daher erkennbare Gegenstande und Lebewesen, Objekte, die als Hindernisse wahrgenommen werden müssen und die Vielzahl der Organismen, die als Raubfeinde, Jagdwild oder Nutzpflanzen eine Rolle spielen, und schließlich unsere Mitmenschen, deren Intentionen zu erkennen von überlebenswichtiger Bedeutung ist.

Daß es solche Regelmäßigkeiten gibt, die man entdecken kann, ist wohl eine Primärhypothese, auf der sich unsere Existenz gründet. Wir sind so gebaut, daß wir sie erwarten. Erfüllt sich die Erwartung, dann erleben wir dies lustbetont als Entdeckungs- erlebnis. Darauf beruht unter anderem der ästhetische Anreiz der Suchbilder und die Freude beim Entdecken der in ihr verborgenen Figur. Unsere Sinneswahr- nehmung ist aktiv auf der Suche nach gestalthaft Erfaßbarem. Das haben die Gestaltpsychologen schon früh heraus gefunden. Haben wir etwas wahrgenommen und erkannt, dann fragt unsere Wahrnehmung häufig nach: Was gibt es noch zu sehen? Sie löst sich dabei von dem bereits Wahrgenommenen. Das geschieht vor allem bei Bildern, die verschiedene Möglichkeiten der Interpretation zulassen.

I. Eibl-Eibesfeldt, in: "Kunstformen der Natur" von Ernst Haeckel, Prestel Verlag, 1998, S. 21


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